Montag, 19. Juni 2017

Ein Platz an der Sonne

Vergangenen Samstag, am 17. Juni, ging es mit insgesamt acht weiteren verwaisten Müttern nach Neustadt in Holstein.

Der Verein Verwaiste Eltern e.V. hatte ein sogenanntes Ostseetreffen organisiert, und ich wollte gern mit meinen Freundinnen E. und J. dabei sein. Ich kenne die beiden aus "meiner" Selbsthilfegruppe, und unser privater Kontakt ist auch über das offizielle Ende der Gruppe geblieben, wofür ich sehr dankbar bin.

So standen wir also um 10 Uhr morgens auf einem Parkplatz, zusammen mit den anderen, und waren ziemlich gespannt was uns so erwarten würde.

Es war altersmäßig eine sehr gemischte Gruppierung, und so unterschiedlich waren dann auch unsere jeweiligen Geschichten. Es gab noch eine weitere Frau, die ihr Baby noch als Neugeborenes in den ersten Wochen verabschieden musste, aber auch Mütter, deren Söhne sich suizidiert hatten, sowie eine Mutter, deren Sohn an einem Hirntumor gestorben ist.

Und wie das immer so ist in diesen ganz besonderen Runden, berührten sich an diesem Tag Himmel und Erde, und ich habe weitere unendlich beeindruckende, tapfere, trauernde Frauen kennen gelernt.

Wir haben Steine gesammelt, einen Leuchtturm aus Sand für unsere Kinder gebaut, Blüten ins Meer geworfen, die vier Elemente genossen, Gespräche geführt, lecker gegessen und getrunken... es war ein sehr intensiver, krasser, anstrengender Tag.

Ein Gespräch ist mir besonders nah gegangen. Ich ging eine Weile mit B., einer Mama dessen jüngerer Sohn sich erhängt hatte, und wir bemerkten schnell Gemeinsamkeiten.

"Bist du eher pragmatisch und lösungsorientiert veranlagt?" wollte sie wissen. Ja, das bin ich, und es hat mich ja auch weit gebracht bisher.
Die genauen Worte bekomme ich nicht mehr zusammen, aber sie riet mir, dass ich meine Gefühle nicht zu sehr außer acht lassen dürfe.
Das traf auch den richtigen Nerv, schließlich habe ich viel damit zu kämpfen, dass ich teilweise wenig Zugang zu meinen Gefühlen habe. Taub und stumpf bin, nicht weinen kann, wie in einer Welt aus Watte lebe.

Wir unterhielten uns darüber, dass wir dankbar seien, über all das Schöne, dass uns trotz unseres jeweiligen Elends zuteil wurde.
Sie wurde nochmals ernst. "Ja, trotz des Elends. Aber auch das Elend ist da und will gelebt werden."

Ja, das Elend ist da. Und ich versuche, nicht allzu oft hinzuschauen.
So wie die Menschen im allgemeinen nicht hinschauen wollen. Sie wollen die Sonnenseiten hören, dass es weitergeht, dass man tapfer ist, nach vorne schaut.

Aber auch die Finsternis hat ihre Berechtigung.

Ich hatte ja meinen Job gekündigt, und arbeite noch bis Ende August.

In mir hat sich in den letzten Wochen ein Wunsch geformt. Ich will im Herbst eine Auszeit nehmen, vielleicht 2 oder 3 Monate lang. Den 3. Geburtstag der Jungs bewusst erleben, ihre Todestage vor- und nachbereiten können.
Kein "husch husch, ich nehme mir einen Tag Urlaub und trauere auf Knopfdruck" und einem potentiellen neuem Arbeitgeber erklären, warum ich genau an diesen 3 Tagen out of order bin.

Vielleicht mache ich eine Reise in die Finsternis. Vielleicht gucke ich den ganzen Tag Serien. Ich lasse es auf mich zukommen. Und bin - trotz des Elends - zuversichtlich dass sich das Richtige für mich ergeben wird.