Dienstag, 24. Oktober 2017

Schleifen

Eriks Todestag hat sich nun auch zum 3. Mal gejährt.

Wieder waren die Ereignisse ganz nah, das Krankenhaus, die letzten Tage, die letzten Stunden.

Es ist wie eine nie enden wollende Schleife.

Die Psychologin damals im Krankenhaus sprach von einer Spirale, die stetig nach oben führt. Man befindet sich irgendwann wieder am gleichen Punkt, aber eine Ebene höher. Was mich betrifft, hatte sie damit recht. Auch wenn Dunkelheit und Verzweiflung wieder spürbar sind.

Ich habe viel geweint und viel gewütet die letzten Tage. Nicht zu arbeiten hilft mir gerade sehr, ich kann einfach sein, wie ich bin, tun, was ich mag, denken, wie ich mag. Ohne (Arbeits)alltagsmaske.
Weil es mir auch einfach scheißegal ist bzw. immer scheißegaler wird, was andere denken.

Ich muss mein Leben leben, ich muss MIT meinem Leben leben.

Und wenn ich die Verbindung zu meinen Söhnen pflegen möchte, sie mitnehmen möchte, sie in mein Leben integrieren möchte, dann ist das mein Weg, und die ganzen Verdränger und Flüchter und Augenzuhalter können sich gepflegt gehackt legen.

Loslassen, was für ein Schwachsinn.

Loslassen kann man schlechte Gewohnheiten, schlechte Jobs, schlechte Freunde, aber doch nicht seine Liebsten, seine Nächsten, seine... Kinder. Sie sind ein Teil von uns, von mir, und egal wie sehr man sich dagegen wehrt, wie sehr einen der Schmerz auch zerfetzt, wenn man ihn zulässt - es gehört alles dazu, das Schöne und das Schreckliche.
Ich verstehe jede und jeden, der davor flüchten will. Und ab und zu ist so eine kleine Alltagsflucht auch bestimmt nicht verkehrt. Mache ich ja gerade auch irgendwie, weil ich mich aus dem "normalen" Leben rausnehme.

So war auch der 19. Oktober wieder fern vom normalen Leben, aber natürlich - irgendwo bleibt man sich ja dann doch immer treu - nicht ohne Plan.

Ich hatte für Erik ein kleines Kistchen besorgt, einen Brief geschrieben und zusammen mit kleinen Engeln und Herzchen und etwas Flauschewatte verschlossen.

Vorletztes Jahr gab es eine Flaschenpost in der Elbe, letztes Jahr ging es hoch hinaus via Luftballon, und dieses Jahr sollte es Erde sein.

Es fühlte sich gut an, einen Plan zu haben. Auch wenn ich quasi erst in letzter Minute für mich entschieden hatte, wo ich das Kistchen vergraben wollte. Es gab eine Vielzahl an gefühlten Möglichkeiten, und ich entschied mich schließlich für einen Ort aus meiner Kindheit, weit draußen auf dem Land.

Vorher ging es noch mit meiner Freundin F. und meinem Freund zum Friedhof, wir tranken noch eine Tasse Kaffee und ich genoss das tolle Wetter - die Sonne schien mit einem milden Licht, und es war fast ein bisschen warm (wir saßen draußen!).

Anschließend fuhren mein Freund und ich dann los, raus aus der Stadt, rein in die Felder und Deiche.

Wir stiefelten durch die schwächer werdende späte Nachmittagssonne, durch Sand und Matsch, vorbei an verzweigten Geäst.

Schließlich fand ich eine geeignete Stelle und wir machten uns daran, die kleine Kiste zu vergraben.

Es war kurz vor dem Todeszeitpunkt um 17:58 Uhr, und wieder kamen die Bilder von vor 3 Jahren.
Der Sturm, der damals aufgezogen war. Die beiden Liegestühle für A. und mich. Die Ärzte und Schwestern, die dabei gewesen waren.

Ich verstehe nicht, wie irgendwer annehmen könnte, dass man so etwas jemals vergisst.

Mein kleiner Erik, du bist unvergessen, unvergesslich, dir gehören meine Liebe, mein Schmerz, mein Lachen und mein Weinen. Du und dein Brüderchen habt mich zu dem Menschen gemacht, der ich bin.
Danke, dass du diese 45 Tage in meinem Leben warst.