Freitag, 27. September 2019

Aus der Welt gefallen

Vorgestern habe ich einen Artikel in einer Frauenzeitschrift gelesen. Ich lag frisch gebadet und befrühstückt in einem ausladenden Hotelbett in Frankfurt und wollte es mir gut gehen lassen.
Eine Autorin, die ich immer gern gelesen habe und deren Schreibstil ich sehr mag, resümierte darin ihre erste Lebenshälfte. Sie ist nun Anfang 50 und erzählte über die Veränderungen, die das Leben so mitbringt.

Habe mich selten so wenig abgeholt gefühlt von einem Artikel. Ich las und las, und fühlte mich wie ein uralter nörgelnder Kritiker.
Mit Brille auf der Nase und geschürzten Lippen.
So so, das Leben in den 30ern, so unbeschwert! Und jetzt, mit über 50, überall Krankheit und Tod. Die eigenen Eltern, die alt und krank werden und sterben, die Fälle im Freundeskreis, die vor der Zeit Siechtum erfahren.
Ich ertappte mich dabei, wie ich diese Autorin beneidete. Über ihr wunderbares normales Leben, so wie es sein sollte.

Ich fühlte mich vor der Zeit gealtert.
Keine Unbeschwertheit, sondern Schwere.
Der Tod, der in mein Leben trat, und die Chronologie der Ereignisse komplett durcheinander warf.

Ich begriff, wieder einmal, dass ich nie haben würde, was sie hat. Ein ganz normales Leben, wie es unzählige führen dürfen.

Einige Tage zuvor hatte ich dieses Gefühl schon mal.
Ich betrachtete zwei meiner liebsten Freundinnen mit ihren Familien. Die beiden kennen sich schon seit Jugendtagen, und nun spielen ihre Kinder miteinander. Es war schön. Das Leben, wie es sein sollte.

Und daneben saß ich, und fühlte mich irgendwie aus dieser Welt gefallen.

Abends ging ich schlafen und dachte fast trotzig, dass ich ja aber auch zweifache Mutter bin.

Wieder in Frankfurt. Mein Mann und ich saßen am Mainufer, die Wolken dunkel und das Wetter nieselig.
100 prozentige vermeintliche Freiheit. Wir können tun und lassen, was wir wollen.
Und ich spürte vor allem wieder die Lücke.

Ich vermisse es so, Familie zu haben.
Vielleicht genau so, wie manche Menschen es vermissen, frei zu sein.

Ich würde diese Freiheit ohne mit der Wimper zu zucken aufgeben, wenn ich nur meine Jungs bei mir hätte.
Ich würde mit meinen Freundinnen im Garten sitzen, und unsere Kinder würden sich gegenseitig die Schippen über die Köpfe ziehen. Wir würden schimpfen und lachen und in unseren Kaffeetassen rumrühren.
Das Leben, wie es sein sollte.

Montag, 9. September 2019

5 Jahre

Die Zeit heilt keine Wunden.
Letzte Woche hätten Erik und Paul ihren 5. Geburtstag gehabt.

Das gleiche Prozedere wie in den Jahren zuvor. Morgens Krankenhaus, mittags zum Grab, nachmittags Kaffee und Kuchen.

Ich versuchte, in Verbindung zu meinen Jungs zu gehen. Leider bin ich da mittlerweile fast die Einzige.
Das fröhliche Geplapper meiner Mutter an der Kuchentafel hielt ich kaum aus. Auf ihre Nachfrage, ob mir nicht gut sei, fiel mir nur ein schwaches "Ich bin halt traurig" ein.

Betretenes Schweigen folgte.
Ich fühlte mich wie ein Trauermonster, das überall nur schlechte Stimmung verbreitet.

Ist es zu viel erwartet, dass man mich an einem solchen Tag fragt, wie es mir geht?
Und dann mit der Antwort umgehen muss?

Ja, ich weiß und verstehe, warum meine Familie ist, wie sie ist, und das meine Eltern nicht anders können, weil sie es nie anders gelernt haben. Und selbst so viel Schmerz erleben mussten und müssen und keiner für sie da war.

Aber offener Umgang ist bisher das einzige, was mir halbwegs hilft, mit allem klarzukommen.

Und so latze ich wieder F. zu, meine liebe Freundin, die eh schon so viel mit und von mir tragen musste.
Oder J. und E., bei denen ich ungefiltert alles rauslassen darf.
Und zu guter Letzt mein Mann, der mit dieser ganzen Scheiße streng genommen nicht mal was zu tun hat.

Ich bin wütend. Und traurig. Und so müde von der Welt.
Die Zeit heilt keine Wunden. Die Zeit zeigt nur alle Wunden.