Donnerstag, 28. Dezember 2017

Im Wandel der Zeit

Weihnachten ist überstanden! Yeah!

Und ich freue mich sagen zu können, dass ich die Tage überwiegend als sehr schön und entspannt empfunden habe.

Alles hat geleuchtet und alle waren friedlich miteinander.

An Heiligabend waren wir vormittags auf dem Friedhof, um einen Zweig von unserem Weihnachtsbaum zum Grab zu bringen. Meine Mutter und ihr Mann hatten am Tag zuvor schon ihren halben Baum dort aufgebaut, so dass ich mich ein bisschen mickrig fühlte mit meinem kleinen Ästchen. Aber naja, der gute Wille zählt und so!

Auf dem Friedhof war es voll, und es herrschte eine beinahe fröhliche Atmosphäre an den Nachbargräbern. Was ich ziemlich befremdlich fand, Heiligabend und Friedhof in einem Satz schließt für mich gute Laune irgendwie aus. Ich weiß noch wie ich dachte "die armen Leute bei denen es jetzt noch ganz frisch, und Weihnachten die absolute Hölle ist!"

Habe später auf dem Nachhauseweg dann wiederum darüber nachgedacht - was hat sich bei mir verändert in den letzten 3 Jahren?

Das erste Weihnachten nach dem Tod von Paul und Erik fiel komplett aus. Wir waren abends noch in der Kirche, weil es den Vater der beiden und mich dort hinzog, aber ansonsten: nope.
Ich wollte keine Geschenke (es gab nur diesen einen einzigen Wunsch den ich hatte, und das war meine Kinder zurück zu bekommen) und fähig irgendwas zu kochen oder zu schenken oder zu schmücken war ich auch nicht.

Das zweite Weihnachten danach habe ich nicht mehr so gut in Erinnerung. Ich war noch recht frisch mit meinem damals neuen Freund zusammen, und Heiligabend habe ich mit ihm und meinem Vater und meiner Schwester verbracht, so als "Hopping Dinner", mit den verschiedenen Gängen in verschiedenen Wohnungen. Das war auf jeden Fall ziemlich anstrengend und wurde für nicht wiederholungswürdig befunden ;)

Weihnachten Nummer 3 war dann echt schön, bei der Familie meines Freundes in seiner Heimatstadt, und dieses Jahr war es nun also schon das vierte Weihnachten, das ich ohne meine Söhne feiern musste.

Aber sie waren dabei, auf ihre Art und Weise. Zu Hause brannten ihre Kerzen, und ich bin mir ganz sicher dass sie spürten und sich darüber freuten, dass ihre Mama im albernen Weihnachtspulli gerade eine nette Zeit mit ihrer lebenden Familie hatte.

Sie sind zu inneren Figuren für mich geworden. Sie fehlen mir fürchterlich, aber gleichzeitig "weiß" ich: sie sind bei mir. Sie wünschen sich, dass ihre Mama glücklich ist. Anders glücklich als zuvor, aber nicht gebrochen und zerstört.

Und ich hatte ihnen damals versprochen, dass ich alles dafür tue, damit ich wieder glücklich werde.

Glück ist in meinen Augen kein beständiges Gut. Es sind kleine Momente, und diese spüren zu dürfen, zu können, das empfinde ich als pures, tiefes Leben und Erleben.

Das Leben in seiner ganzen Fülle...

Es wird noch vieles bereit halten, gutes wie schlechtes, und es wird auch für mich wieder Phasen geben, wo ich das nicht spüren kann und in denen ich wütend und voller Schwärze bin - dann ist es eben so.

Es gibt keine Wege um die Trauer herum.
Wir alle müssen unsere eigenen Wege finden und gehen.

Und ich bin dankbar für die Gefährten auf meiner Reise.
Und ich wünsche uns allen, die wir trauern und die tiefsten Abgründe in uns kennen, dass wir nie dauerhaft die Hoffnung verlieren.

Bald ist 2017 vorbei. Ein aufregendes, ein stilles, ein mutiges und ein zurückgezogenes Jahr in meinem Leben geht zu Ende.

Mal wieder - auf ein neues.

Donnerstag, 21. Dezember 2017

Weihnachtszeit

"Weihnachtszeit, Weihnachtszeit, macht euch für das Fest bereit..."

Ich kann immer noch keine Lieder von Rolf Zuckowski hören, ohne davon schwermütig zu werden.
Generell, Weihnachtslieder - mein Freund und ich haben eine Weihnachtsplaylist erstellt, und es fühlte sich für mich an wie harte Arbeit.
Ich habe seit dem Tod von Erik und Paul keine Weihnachtslieder mehr gehört, ist mir aufgefallen.

Das 4. Mal Weihnachten ohne die beiden.

Ab und zu blitzt ein bisschen Weihnachtszauber auf. Der geschmückte Tannenbaum, Kekse backen, die Vorfreude in den Augen meines Freundes ...

Und dann wieder Tränen. Beim Einpacken der Geschenke durchfuhr mich plötzlich der Gedanke, dass ich so noch in den nächsten ~50 Jahren sitzen werde - Geschenke einpackend, ohne die beiden.

Es fühlte sich so aussichtslos an. Der ewige Kampf, gute Momente gegen schlechte Momente.
Aber vielleicht ist es ja auch gar kein Kampf, sondern eine Einheit.

Am 10. Dezember war wieder Worldwide Candle Lighting - ich war wieder mit Freunden und Familie im Hamburger Michel, und es war wie auch im letzten Jahr groß, überwältigend, schön und traurig. Gute Momente, schlechte Momente.

Mit meiner Freundin J., auch eine verwaiste Mama, habe ich eine - achtung langes Wort - Weihnachtsmarktkonfrontationstherapie gemacht. Ok, wir haben ein bisschen geschummelt und sind vormittags hingegangen.
Hab es aber auch einmal mit ehemaligen Kolleginnen und nochmal mit meiner Familie geschafft.
Auf den Fotos, die auf letzterem Besuch entstanden, sehe ich richtig glücklich aus.

Weihnachten wird für mich nie wieder so wie früher sein. Kann es auch gar nicht. Ich merke, wie ich mehr und mehr in dieses neue Leben hineinwachse. in die guten Momente, und in die schlechten.

Beides verbinden und leben möchte, die Liebe und die Traurigkeit.

Mittwoch, 1. November 2017

Mein Leben in Schwarzweiß

Trauer macht einsam. Ist das nicht eigentlich widersprüchlich?

Wie kann etwas, das einen so verletztlich, so offen, so weich für die Welt macht, gleichzeitig der schlimmste Malus unserer Zeit sein?
Leute wenden sich ab, wissen nicht, was sie sagen sollen - dabei haben sie es doch so gut. Sie müssten NUR reden. Sie müssen nicht mit dem Schicksal leben, jeden Tag, jede Nacht.
Sie können nach Hause gehen, vielleicht eine Serie gucken und komplett abschalten.

Ich hadere gerade sehr mit meinem Leben. Ich weiß nicht, wie ich wieder hineinfinden soll, in das normale Leben. Ich kann nicht ewig auf meinem Sofa sitzen und beim Seriengucken anfangen zu heulen, weil ich alles so hasse und belanglos finde.

Am Sonntag, den 29. Oktober, war Pauls 3. Todestag.

Wie passt das hinein in unsere totretuschierte Welt? Wo ist da das Bling bling, die Heiterkeit, die Lebenslust?

Eine Freundin schrieb mir am Sonntag "Ein Kind gehen zu lassen zerstört einen schon vollkommen, dann alle Kraft zusammen zu nehmen, stark zu sein und zu kämpfen und dann nochmals sein Herz und alle Hoffnung zu verlieren, das ist mehr als unmenschlich und nicht nachvollziehbar, wenn man es nicht erleben musste."
Sie selbst hat ihre Drillinge verloren.

Etwas von mir ist kaputt gegangen vor 3 Jahren, und so langsam spüre ich - es kommt auch nicht wieder.

Ich wehre mich mit Händen und Füßen, aber vielleicht sollte ich es langsam akzeptieren.

Meine Söhne sind tot, und ich werde nie mehr die Selbe sein.

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Mit mir selbst weiß ich zur Zeit nichts anzufangen, dafür klappen Rituale ziemlich gut.

Auch Paul sollte natürlich sein Kistchen haben, gleiches Prozedere wie an Eriks Todestag, 10 Tage zuvor.

Diesmal an einem anderen Ort, ebenfalls wieder Teil meiner Kindheit und Wirkungsstätte meines verstorbenen Opas, als er noch arbeitete.

Mittags hatte ich mich mit meiner Freundin F. und meinem Vater zunächst auf dem Friedhof getroffen, mein Freund war auch dabei.

Anschließend fuhren wir dann weiter zum besagten Ort, wo wir auf meine Mutter trafen.
Es war ziemlich frisch, und die letzten Ausläufer des Sturms von voriger Nacht wehten uns um die Nase. Wir gingen nicht lange spazieren, schnell war der passende Ort gefunden.

Nach erfolgreicher Verbuddelung ging es weiter zu einem hübschen Café in der Nähe, es gab Kaffee und Kuchen und irgendwie fühlte ich mich einfach nur leer und weit weg.

Die letzten beiden Tage habe ich mich dann nur zu Hause vergraben, bei all dem Tod ertrage ich oft das Leben nicht mehr.

Letzte Woche hatte ich Bewerbungsbilder von mir in der Hand. Knapp 4 Jahre alt.
Ich trug das schwarzweiße Kleid, auf dem Monate später mein zweiter Sohn sterben sollte.

Life is strange - and so am I.


Dienstag, 24. Oktober 2017

Schleifen

Eriks Todestag hat sich nun auch zum 3. Mal gejährt.

Wieder waren die Ereignisse ganz nah, das Krankenhaus, die letzten Tage, die letzten Stunden.

Es ist wie eine nie enden wollende Schleife.

Die Psychologin damals im Krankenhaus sprach von einer Spirale, die stetig nach oben führt. Man befindet sich irgendwann wieder am gleichen Punkt, aber eine Ebene höher. Was mich betrifft, hatte sie damit recht. Auch wenn Dunkelheit und Verzweiflung wieder spürbar sind.

Ich habe viel geweint und viel gewütet die letzten Tage. Nicht zu arbeiten hilft mir gerade sehr, ich kann einfach sein, wie ich bin, tun, was ich mag, denken, wie ich mag. Ohne (Arbeits)alltagsmaske.
Weil es mir auch einfach scheißegal ist bzw. immer scheißegaler wird, was andere denken.

Ich muss mein Leben leben, ich muss MIT meinem Leben leben.

Und wenn ich die Verbindung zu meinen Söhnen pflegen möchte, sie mitnehmen möchte, sie in mein Leben integrieren möchte, dann ist das mein Weg, und die ganzen Verdränger und Flüchter und Augenzuhalter können sich gepflegt gehackt legen.

Loslassen, was für ein Schwachsinn.

Loslassen kann man schlechte Gewohnheiten, schlechte Jobs, schlechte Freunde, aber doch nicht seine Liebsten, seine Nächsten, seine... Kinder. Sie sind ein Teil von uns, von mir, und egal wie sehr man sich dagegen wehrt, wie sehr einen der Schmerz auch zerfetzt, wenn man ihn zulässt - es gehört alles dazu, das Schöne und das Schreckliche.
Ich verstehe jede und jeden, der davor flüchten will. Und ab und zu ist so eine kleine Alltagsflucht auch bestimmt nicht verkehrt. Mache ich ja gerade auch irgendwie, weil ich mich aus dem "normalen" Leben rausnehme.

So war auch der 19. Oktober wieder fern vom normalen Leben, aber natürlich - irgendwo bleibt man sich ja dann doch immer treu - nicht ohne Plan.

Ich hatte für Erik ein kleines Kistchen besorgt, einen Brief geschrieben und zusammen mit kleinen Engeln und Herzchen und etwas Flauschewatte verschlossen.

Vorletztes Jahr gab es eine Flaschenpost in der Elbe, letztes Jahr ging es hoch hinaus via Luftballon, und dieses Jahr sollte es Erde sein.

Es fühlte sich gut an, einen Plan zu haben. Auch wenn ich quasi erst in letzter Minute für mich entschieden hatte, wo ich das Kistchen vergraben wollte. Es gab eine Vielzahl an gefühlten Möglichkeiten, und ich entschied mich schließlich für einen Ort aus meiner Kindheit, weit draußen auf dem Land.

Vorher ging es noch mit meiner Freundin F. und meinem Freund zum Friedhof, wir tranken noch eine Tasse Kaffee und ich genoss das tolle Wetter - die Sonne schien mit einem milden Licht, und es war fast ein bisschen warm (wir saßen draußen!).

Anschließend fuhren mein Freund und ich dann los, raus aus der Stadt, rein in die Felder und Deiche.

Wir stiefelten durch die schwächer werdende späte Nachmittagssonne, durch Sand und Matsch, vorbei an verzweigten Geäst.

Schließlich fand ich eine geeignete Stelle und wir machten uns daran, die kleine Kiste zu vergraben.

Es war kurz vor dem Todeszeitpunkt um 17:58 Uhr, und wieder kamen die Bilder von vor 3 Jahren.
Der Sturm, der damals aufgezogen war. Die beiden Liegestühle für A. und mich. Die Ärzte und Schwestern, die dabei gewesen waren.

Ich verstehe nicht, wie irgendwer annehmen könnte, dass man so etwas jemals vergisst.

Mein kleiner Erik, du bist unvergessen, unvergesslich, dir gehören meine Liebe, mein Schmerz, mein Lachen und mein Weinen. Du und dein Brüderchen habt mich zu dem Menschen gemacht, der ich bin.
Danke, dass du diese 45 Tage in meinem Leben warst.



Sonntag, 10. September 2017

3 Jahre alt

Am 5. September wären Erik und Paul 3 Jahre alt geworden.

Etwas war anders in diesem Jahr. Der Tag begann mit Sonnenschein!
Während es an den letzten beiden Geburtstagen nieselte und der Himmel grau in grau war, war heute ein freundlicher, klarer Tag.

Es fühlte sich sehr tröstlich an. Als wäre eine Zeitenwende angebrochen.

Und ja, es hat sich ja auch einschneidendes für mich ergeben. Mit meinem Job habe ich das letzte Bindeglied in mein altes Leben gekappt. Was sich groß und mächtig anfühlt, aber vor allem: richtig.

Der Geburtstag der beiden begann für mich wieder im Krankenhaus, beim dortigen Bäcker.
Meine liebe Freundin F. und ich trafen uns morgens, ich aß das obligatorische Rührei mit Speck und trank meinen geliebten Karamellmacchiato, und wir hielten uns an den Händen, als um 9:45 und 9:46 die Geburtsstunden von Erik und Paul gekommen waren.

Auch wenn wieder ein Jahr vergangen ist, seit ich beim Krankenhaus war, fühlt sich dort noch immer alles vertraut an. So verzichtete ich dieses Jahr auch auf meinen "Rundgang", irgendwie "musste" ich das dieses Jahr nicht tun.

Wir fuhren zum Friedhof, dekorierten ein bisschen mit Kerzen und Ballons, und gegen 11 Uhr kamen auch mein Vater und meine Schwester dazu.

Wir stießen mit Sekt an und erzählten im Halbkreis so dies und das, ein leichter Wind ging und ich fühlte mich wieder seltsam komplett, hier inmitten meiner kleinen Familie.

Danach ging es zu mir nach Hause, mein Freund war schon da und meine Mutter kam dann auch noch dazu. Es gab Kuchen und Muffins und Kaffee, und, wie es sich für einen Kindergeburtstag gehört, ganz viel Süßkram :)

Es ist immer noch komisch, einen Geburtstag ohne die Hauptpersonen zu feiern.

Abends, nachdem alle gegangen waren, überrollte es mich sehr, ich weinte und wollte nochmal zum Friedhof. Also fuhren mein Freund und ich los, auch um zu schauen, ob die Ballons auch wirklich blinkten. Es war leider noch nicht dunkel genug, um das abschließend beurteilen zu können, aber wir konnten die LEDs auf jeden Fall schon leuchten sehen.

Ich vermisse euch, ihr lieben Mäuse. Es vergeht immer noch kein Tag, an dem ich nicht an euch denke. Ihr gehört zu meinem Leben dazu, und das ist schön so.

Schon seit 3 Jahren.

Samstag, 19. August 2017

Schritt für Schritt

Die letzten Wochen sind nur so verflogen.
Die Zeichen stehen auf Abschied.
Heute in einer Woche wird mein letzter Arbeitstag in vertrauter Umgebung sein.

Bin ich dafür gewappnet?

Ich versuche, nur von einem Schritt zum nächsten zu denken.

Nächste Woche Abschied.
Die Woche darauf Formalitäten klären. Noch eine Woche darauf - der 3. Geburtstag meiner Söhne.

Ich freue mich so sehr auf meine selbstgewählte Auszeit.
Wie dringend nötig ich sie habe! Wie kaputt und müde ich bin. Wie sehr ich mich zusammenreiße, um allem gerecht zu werden.

Ich muss nun anfangen, mir selbst gerecht zu werden. Meine Trauer zu leben und sie nicht zu bekämpfen. Meine Gefühle anzunehmen, so wie sie eben sind.

Es ist gut, wenn ich traurig bin. Es ist gut, wenn ich fröhlich bin. Oder wütend. Oder taub. Oder verwirrt.

Oder alles gleichzeitig.

Ich werde viel Kraft und noch mehr Mut brauchen. Ich hoffe, es wird sich alles finden.


Mittwoch, 2. August 2017

Auf der Suche

Wir haben August. Wieder einmal. Und ich weiß nicht, ob meine derzeitige Gemütslage vielleicht auch dadurch mitgeprägt wird.

Ich bin traurig. Alles ist so anstrengend! Ich möchte jammern und mit dem Fuß aufstampfen.

Dabei liegen schöne Wochen hinter mir. Ein lang ersehnter Urlaub, zusammen mit meinem Freund, und letzte Woche haben wir uns ein kleines Auto gekauft. Ein kleines Stück Freiheit zurückerobert.

Wie ich es Leid bin, die vollen Busse und Bahnen, Schienenersatzverkehr, überall Menschen -
im Moment ist es die Sehnsucht nach Ruhe und Frieden, nach Beschaulichkeit.

Es gab ein Attentat in "meinem" Stammsupermarkt, 5 Minuten von meinem Zuhause entfernt. Die Nachrichten waren voll davon, und mich hat es bis ins Mark erschüttert. Und daran erinnert, wieder einmal, wie fragil unser Leben ist. Wie brüchig die Sicherheiten sind.

Ich habe schon seit langem Angst wenn ich am Hauptbahnhof bin, oder noch schlimmer, am Flughafen. Aber nun mitzuerleben, wie jemand beim einkaufen getötet wird, noch dazu quasi vor der Haustür - das will mir nicht in den Kopf.

Ich verstehe nicht, warum Menschen einander so viel Leid zufügen.
Ich bin einfach nur traurig und müde von der Welt.

Zähle die Tage, die ich noch auf Arbeit verbringen muss, und freue mich darauf, endlich einen Strich unter dieses Kapitel ziehen zu können.

Um dann langsam weiter zu sehen. Rausfinden, was ich machen will, wo ich hin will.

"Der lange Weg durch die Trauer" - ich muss im Moment häufig an diese Formulierung denken.
Der Weg ist lang, und so ganz anders, als ich dachte.

Er hat bei mir gar nicht so viel mit Tränen zu tun, sondern eher mit nicht-fühlen, Wut fühlen, bodenlose Erschöpfung fühlen. Und sich einsam fühlen, un-end-lich einsam. Auch wenn man gar nicht alleine ist.

Montag, 19. Juni 2017

Ein Platz an der Sonne

Vergangenen Samstag, am 17. Juni, ging es mit insgesamt acht weiteren verwaisten Müttern nach Neustadt in Holstein.

Der Verein Verwaiste Eltern e.V. hatte ein sogenanntes Ostseetreffen organisiert, und ich wollte gern mit meinen Freundinnen E. und J. dabei sein. Ich kenne die beiden aus "meiner" Selbsthilfegruppe, und unser privater Kontakt ist auch über das offizielle Ende der Gruppe geblieben, wofür ich sehr dankbar bin.

So standen wir also um 10 Uhr morgens auf einem Parkplatz, zusammen mit den anderen, und waren ziemlich gespannt was uns so erwarten würde.

Es war altersmäßig eine sehr gemischte Gruppierung, und so unterschiedlich waren dann auch unsere jeweiligen Geschichten. Es gab noch eine weitere Frau, die ihr Baby noch als Neugeborenes in den ersten Wochen verabschieden musste, aber auch Mütter, deren Söhne sich suizidiert hatten, sowie eine Mutter, deren Sohn an einem Hirntumor gestorben ist.

Und wie das immer so ist in diesen ganz besonderen Runden, berührten sich an diesem Tag Himmel und Erde, und ich habe weitere unendlich beeindruckende, tapfere, trauernde Frauen kennen gelernt.

Wir haben Steine gesammelt, einen Leuchtturm aus Sand für unsere Kinder gebaut, Blüten ins Meer geworfen, die vier Elemente genossen, Gespräche geführt, lecker gegessen und getrunken... es war ein sehr intensiver, krasser, anstrengender Tag.

Ein Gespräch ist mir besonders nah gegangen. Ich ging eine Weile mit B., einer Mama dessen jüngerer Sohn sich erhängt hatte, und wir bemerkten schnell Gemeinsamkeiten.

"Bist du eher pragmatisch und lösungsorientiert veranlagt?" wollte sie wissen. Ja, das bin ich, und es hat mich ja auch weit gebracht bisher.
Die genauen Worte bekomme ich nicht mehr zusammen, aber sie riet mir, dass ich meine Gefühle nicht zu sehr außer acht lassen dürfe.
Das traf auch den richtigen Nerv, schließlich habe ich viel damit zu kämpfen, dass ich teilweise wenig Zugang zu meinen Gefühlen habe. Taub und stumpf bin, nicht weinen kann, wie in einer Welt aus Watte lebe.

Wir unterhielten uns darüber, dass wir dankbar seien, über all das Schöne, dass uns trotz unseres jeweiligen Elends zuteil wurde.
Sie wurde nochmals ernst. "Ja, trotz des Elends. Aber auch das Elend ist da und will gelebt werden."

Ja, das Elend ist da. Und ich versuche, nicht allzu oft hinzuschauen.
So wie die Menschen im allgemeinen nicht hinschauen wollen. Sie wollen die Sonnenseiten hören, dass es weitergeht, dass man tapfer ist, nach vorne schaut.

Aber auch die Finsternis hat ihre Berechtigung.

Ich hatte ja meinen Job gekündigt, und arbeite noch bis Ende August.

In mir hat sich in den letzten Wochen ein Wunsch geformt. Ich will im Herbst eine Auszeit nehmen, vielleicht 2 oder 3 Monate lang. Den 3. Geburtstag der Jungs bewusst erleben, ihre Todestage vor- und nachbereiten können.
Kein "husch husch, ich nehme mir einen Tag Urlaub und trauere auf Knopfdruck" und einem potentiellen neuem Arbeitgeber erklären, warum ich genau an diesen 3 Tagen out of order bin.

Vielleicht mache ich eine Reise in die Finsternis. Vielleicht gucke ich den ganzen Tag Serien. Ich lasse es auf mich zukommen. Und bin - trotz des Elends - zuversichtlich dass sich das Richtige für mich ergeben wird.



Donnerstag, 27. April 2017

Alles neu macht der... April

Vorgestern habe ich meine Kündigung eingereicht.

Nach 10 Jahren Betriebszugehörigkeit, mit guten Phasen, mit schlechte Phasen, habe ich mich nun für einen beruflichen Neustart entschieden.

Was soll ich sagen. Es ist ein tolles Gefühl.
Einfach auf seine innere Stimme, sein Bauchgefühl zu hören.

Ich fühle mich wie kurz nach dem Abi, als gefühlt alles offen war.
Total frei und beschwingt, und vor allem zuversichtlich.

Ich habe eine Kündigungsfrist von 4 Monaten und bin jetzt erst einmal guten Mutes, dass ich in dieser Zeit was nettes für mich finde.

Die Entscheidungsphase war krass. Emotional ein totales Auf und Ab. Und natürlich auch immer das Stimmchen: "Was, wenn das eine total blöde Idee ist? Was, wenn du in ein totales Idiotenunternehmen gerätst? Was, wenn du in einer totalen Downphase landest?"

Seit dem Kündigungsgespräch ist dieses Stimmchen etwas leiser geworden. Mir ist bewusst, dass es bestimmt mal wieder kommt, vielleicht nach einem schrecklichen Bewerbungsgespräch, oder wenn die ersten Absagen kommen.

Bestimmt gibt es auch mal Phasen, in denen ich meine Entscheidung nicht mehr so toll finde.

Aber es macht mir Mut, dass das erste Gefühl nach der Aussprache eine tiefe Erleichterung war.

Und ich finde es schön zu sehen, dass die Reaktionen durchweg positiv sind. Vorhin sagte eine liebe Kollegin, dass sie fast ein bisschen neidisch sei.

Sicherlich ist es ein Privileg, sein Ding machen zu können, keine größeren Verantwortungen für andere zu tragen, niedrige Lebensunterhaltungskosten zu haben.

Es war dieses Gefühl: Jetzt oder nie.

Mal sehen wohin mich dieses Gefühl bringt.


Donnerstag, 20. April 2017

Veränderungen

Als Erik und Paul ganz frisch verstorben waren, habe ich den Impuls gehabt, auch den Rest meines Lebens hinzuschmeißen. Alles hinter mir zu lassen, Wohnung, Job, Stadt, Land.

Ich wollte dem Bruch in meinem Leben ein Gesicht geben.

Leider bin ich nicht so der Typ für radikale Neuanfänge. Ich finde es bewundernswert und toll, wenn Menschen sich trauen, unkonventionelle Wege zu gehen.
Ich hatte dagegen den letzten Rest Vertrauen in mich und ins Leben verloren.

Es ist langsam nachgewachsen. Immer noch wachsam und etwas unsicher, aber ich lerne langsam, für mich einzustehen.

Und so stehe ich gerade wieder an einem Scheideweg.

Es gab einen sehr ärgerlichen und verletzenden Vorfall auf Arbeit.
Totale Banalitäten in Anbetracht von anderen Verletzungen in meinem Leben, einerseits.

Ich konnte gar nicht groß darüber nachdenken und bin direkt zu meinem Vorgesetzten gerauscht und hab gemotzt. Super Gefühl!

Die Konsequenz liegt klar und deutlich vor mir, denn es gibt natürlich auch dieses neue: andererseits.

Zwei Seiten der selben Medaille.

Warum verharren, erstarren, aushalten, wenn man auch mutig sein kann und vielleicht sogar noch etwas viel viel besseres erhält?

2017, vielleicht wirst du doch wilder als gedacht.

Donnerstag, 23. Februar 2017

Uns trennt das Leben

Am kommenden Sonntag findet eine Gedenkveranstaltung für früh verstorbene Kinder statt, an dem ich, zusammen mit einer Pastorin und anderen verwaisten Eltern, mitwirke.

Die vergangenn Wochen standen dadurch viel im Zeichen von Erik und Paul. Es gab einige Vorbereitungstreffen, und während wir unsere Texte entwickelten und viel über unsere Kinder sprachen, passierte noch etwas anderes. Es wurde ein Tor aufgemacht, und dahinter lag die ungeschminkte Realität. Ich fühlte mich so sehr als Mutter, wie schon lange nicht mehr.

Oft existiere ich wie in einem Paralleluniversum. Man trifft oder spricht alte Freunde oder Verwandte, man erzählt so dies und das, aber dieses eine schwere Thema wird mehr und mehr ausgeklammert.

Es fängt an, in den Erinnerungen der Menschen zu verblassen, es ist nicht mehr so wichtig.

Ich merke mehr und mehr, wie ich mich eher den Menschen in meinem Leben zuwende, die ähnliches durchmachten mussten wie ich.

Ist das nun eine Art Schicksalsarroganz? Vielleicht ein bisschen, ja.

Ich denke an einen Geburtstag vor ein paar Wochen, wo ich viele Leute wiedersah, die ich teilweise seit Jahren nicht gesehen habe. Alles keine engen Freunde, halt so Leute, die man 1, 2 Mal auf einer Party gesehen hat. Und ich hatte genau 0 Bedürfnis, mich mit irgendwem von ihnen zu unterhalten.
Es ging viel um Kinder, und die die keine Kinder hatten unterhielten sich über ihre Jobs oder Reisen.

Mich hat es selbst erschreckt, wie anti ich teilweise geworden bin. Als müsste man ständig über tote Babies reden.

Aber Tod und Trauer ist ein so großer Bestandteil meines Lebens geworden, dass ich nicht mehr zurück kann. Ich will nicht vergessen oder verdrängen, will nicht lächeln und den schönen Schein wahren, wenn mir nicht danach ist.

Vielleicht ist es der Wunsch, als Ganzheit gesehen zu werden. Die meisten sehen nur Teile von mir, und haben auch gar nicht das Bedürfnis weiter zu schürfen.
Das ist okay. Aber es vergrößert den Graben zwischen dem was ist, und dem was scheint.

Ich will keinen Schein. Ich will das echte Leben.

~
Das hier geht an alle, die mir ihre Liebe gaben
Es war schön, ein Stück davon gehabt zu haben
Das geht raus an alle Leute, die ich geliebt
Es ist schön, dass es euch gibt.
Das hier geht an jeden, der mir zu nahe stand
Und von mir verletzt wurde durch das, was uns verband
Jetzt trennt uns das Leben und doch -
Ich lieb Euch immer noch
~

Dienstag, 3. Januar 2017

Gedanken zum Jahreswechsel

Und Weihnachten kam. Und war wahrhaftig schön.

Dieses Jahr war ich erstmalig bei meiner Schwiegerfamilie in spe, 500 km weit weg von zu Hause.
Ich war, zugegeben, ein bisschen skeptisch, ob das eine gute Idee sei, schließlich ist Weihnachten ja nicht ganz unbelastet was fehlende Familienmitglieder angeht.

Aber die Eltern meines Freundes sind bisher immer sehr sensibel mit meiner Vorgeschichte umgegangen, und so fühlte ich mich in guten Händen.

Und so kam es dann auch, dass ich an Heiligabend nach erfolgter Beschenkung und leckerem Essen vollkommen selig auf der Schlafcouch lag und Zwiesprache mit Erik und Paul hielt, und ihnen für alles dankte.
Sie haben so viel Liebe in mein Leben gebracht und mein Leben immer hell gemacht, wenn es am dunkelsten war.

Ich hätte nicht zu hoffen gewagt, dass mir so viel schönes widerfährt. Dass ich geliebt werde. Dass ich akzeptiert werde. Dass alles schlimme und traurige zu mir dazu gehört und mich "ganz" macht.

Ja, ich habe immer noch ganz viel Angst vor Verlust und Kummer.

Mein Freund und ich schmieden viele schöne Pläne, und ab und zu meldet sich ein kleines Stimmchen "aber was, wenn nicht...?"

Oder die Angst um die eigenen Eltern, die Geschwister, die Freunde... je mehr schönes man hat, desto mehr schönes kann man verlieren.

Aber es tut so gut, wieder ein bisschen nach vorne schauen zu können.
Wieder Spaß am Planen zu bekommen.

Klar zu sehen - wer und was tut mir gut in meinem Leben? Woran halte ich fest?
Auch im vergangenen Jahr haben einige Freund- oder Bekanntschaften Federn lassen müssen. Dafür wurden andere vertieft.

2017... ich bin gespannt auf dich.