Sonntag, 10. Mai 2015

Was war und was bleibt

Vor einem Jahr bin ich schwanger geworden. Dass es Zwillinge werden, hat mich völlig unvorbereitet getroffen.

Nach ungefähr einer Woche abwechselndem "Oh nein!", "Oh gott!" und "Wie sollen wir das denn schaffen?!" setzte sich die Neuigkeit etwas, und ich war aufgeregt und freute mich sehr.

Es war eine anstrengende Schwangerschaft, körperlich wie emotional. Ich musste mich viel schonen und selbst wenn ich unbedingt gewollt hätte, hätte ich vieles nicht gekonnt. So hatte ich mir das irgendwie nicht vorgestellt.

Trotz allem gab es auch ganz viele tolle Momente. Der stetig größer werdende Bauch, die ersten Babystupser... ein überwältigendes Gefühl, wenn da von innen Rabatz gemacht wird.

Leider endete die Schwangerschaft viel zu früh in der 25. Schwangerschaftswoche.
Ich kam mit Wehen ins Krankenhaus und die Geburt konnte nicht mehr aufgehalten werden.

Erik wurde am 5. September 2014 um 9:45 Uhr auf die Welt geholt, 29 cm groß und 675 Gramm schwer.
Paul folgte seinem Bruder 1 Minute später, war genauso groß und wog 620 Gramm.

Da bleiben einem fröhliche Rund-SMS irgendwie im Halse stecken.

Trotzdem waren mein Freund und ich auf eine seltsame Art und Weise optimistisch.

Auf der Frühchenintensivstation hingen an den Wänden lauter Collagen über Kinder, die mit dem Kampfgewicht einer halben Packung Mehl gestartet waren und es überlebt hatten.
Sogar richtig gut überlebt hatten. Pausbäckige kleine Gesichter schauten einem da von den Fotos entgegen, zuckersüße Kinder.

Unsere Jungs waren auch zuckersüß, aber von Pausbacken keine Spur.
Zarte kleine Wesen, Händchen so groß wie mein Daumennagel. Die Füßchen, die sich einem nur wenig größer, aber umso bestimmter entgegenstreckten.

Sie hatten Biss, die beiden. Und sie waren so tapfer.

So vieles mussten sie über sich ergehen lassen. Beatmungsschläuche, Magensonden, Zentrale Venenkatheter, Zugänge für Transfusionen.
Und Operationen. Erik war gerade mal 2 Wochen alt, als er am Darm operiert werden musste.
Paul hingegen hatte im Zuge einer Gehirnblutung eine erhöhte Hirnwassermenge. Um das zu regulieren, wurde ihm eine Art Kathether ins Gehirn gelegt.
Beides nicht untypisch für so kleine Menschen.

Die beiden kleinen Räuber nahmen leider überhaupt alles mit, was irgendwie ging.
Infektionen, Blutvergiftung, Pilze.
Uns erwartete beinahe jeden Tag eine neue Hiobsbotschaft.

Wir waren an den Grenzen unseres Verstandes angekommen.

Am 19. Oktober waren auch Eriks Grenzen erreicht.
Paul folgte ihm auch diesmal, 10 Tage später.
Wir wurden behutsam von den Ärzten und dem Pflegepersonal vorbereitet und umfassend begleitet, so gut es eben ging.

Da standen wir nun in der Nacht zum 29. Oktober und waren verwaiste Eltern.
Alle Pläne, alle Vorfreude, alle Zukunftsaussichten waren zusammen mit Erik und Paul gestorben. Der Glaube in einen selbst, daran, dass doch immer alles gut werden würde - verpufft.

Was bleibt, ist diese tiefe, bedingungslose Liebe in mir. So wie die beiden habe ich niemanden vorher geliebt.
Mutterliebe, das war vorher einfach ein Wort für mich.
Genauso wie Einsamkeit oder Leere, nur Wörter, die plötzlich wahrhaftig ausgefüllt wurden.

Ich sehe diese Liebe als Geschenk von Erik und Paul an mich. Etwas schöneres hätte ich mir nie wünschen können.
Ich hätte nur gern mehr Zeit gehabt, davon etwas an sie zurückzugeben.

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